Simulieren, was geschehen kann

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Simulieren, was geschehen kann

Erschienen im Magazin: K-Zeitung 17/2014, Seite 22-23

Die Simulationssoftware von Sigma ermöglicht Kunststoffverarbeitern, vor dem Start einer neuen Produktion sorgfältig alle Details der Prozesskette zu simulieren - Virtual Molding: ein Zauberwort, das Kosten sparen kann und die Produktionssicherheit erhöht.

Die Kosten in der industriellen Produktion steigen, die Innovationszyklen werden kürzer, der internationale Wettbewerbsdruck nimmt zu, Verträge für Zulieferer, zum Beispiel mit Automobilherstellern, werden hinsichtlich Lieferterminen und Produktqualitäten immer rigoroser: All dies und noch vieles mehr erhöht gewaltig den Druck auf Kunststoffverarbeiter. Da ist es beinahe schon ein Segen, wenn Teile eines komplexen Produktionsprozesses – oder gar der gesamte Arbeitsablauf in seinen Details – vor dem Start simuliert werden können. Simulieren, was geschehen kann: So lautet das Motto.

 

Formgebende Prozesse im Mittelpunkt
Genau das bietet die Sigma Engineering GmbH in Aachen. Nach der Definition von Dr.-Ing. Marco Thornagel, verantwortlich für Marketing, Vertrieb und Engineering im Unternehmen, gibt die eigenentwickelte und kontinuierlich verfeinerte und an aktuelle Erfordernisse angepasste Simulationssoftware tiefe Einblicke in die formgebenden Prozesse der Kunststofftechnik. Mithilfe einer dreidimensionalen Strömungs simulation
wurde die „Nachbildung“ von Prozessen, die zu gegossenen oder gespritzten Kunststoffteilen führen, entscheidend optimiert. Als Tochterunternehmen der Magma Gießereitechnologie GmbH, die die führende Rolle bei der Simulation von Prozessen in der Gießtechnik spielt,
fokussiert Sigma auf die Kunststoffindustrie. Dabei standen zunächst der Kautschuk und seine Produkte im Vordergund des Interesses von Sigma, die das Vertriebs- und Engineeringunternehmen für die Software Sigmasoft ist. Wie Dr. Thornagel dem Reporter in Aachen erklärt, kommt Sigma ursprünglich aus dem Elastomerbereich: „Dort sind noch heute etwa 40 Prozent unserer Kunden tätig, weitere 40 Prozent kommen aus dem Thermoplastbereich, und die anderen 20 Prozent teilen sich unter anderem in die Sparten Duro plaste und Pulverspritzguss auf.“

 

220 Mitarbeiter weltweit
Magma hat weltweit 220 Mit arbeiter. In Sachen Verarbeitungssimulation ist das Mutterunternehmen mindestens in Europa marktführend, ist sich der promovierte Ingenieur und Prokurist sicher. Im Bereich Metallgusssimulation ist Sigma seinen Worten nach gar „mit Riesenabstand Marktführer weltweit“. Am Standort Aachen ist eine Entwicklungsmannschaft von 50 Mitarbeitern beschäftigt, die die Produkt entwicklung beider Simulationsprodukte (Metall und Kunststoff) verantwortet. Nimmt man die Beschäftigten von Magma und Sigma zusammen, arbeiten rund 110 Mitarbeiter am Standort in der geschichtsträchtigen ehemaligen Kaiserstadt. Von den 220 Mit arbeitern weltweit gehören rund 15 % zu Sigma.
Von den Geschäftsbereichen her ist der SigmaStandort Aachen für Vertrieb, Engineering und Kundensupport in Europa zuständig. Doch auch in
den USA ist Sigma zu Hause. „Dort sind wir sehr gut aufgestellt“, berichtet Thornagel, „alleine in diesem Jahr konnten wieder zwei neue Mitarbeiter eingestellt werden.“ Auch in Brasilien und Asien (von einer Holding in Singapur wird das asiatische Geschäft gesteuert) sowie auch in der Türkei ist Sigma auf einem guten Weg. In Indien, China und Korea unterhält das Unternehmen eigene Standorte und nutzt das Netzwerk von Magma.
Wie funktioniert die Simulationssoftware? Was bietet Sigma seinen Kunden konkret an?

 

Was erwartet der Kunde?
Dr. Thornagel: „Wir definieren uns über die Technologie und fragen immer: Was erwartet der Kunde von uns? Der Kunde erwartet nicht nur, dass wir ihm zeigen, welchen Knopf er für das reibungslose Funktionieren der Software drücken muss, sondern er erwartet auch kunststofftechnische Diskussionen auf Augenhöhe. Nur eine Frage als Beispiel: ‚Ich bekomme einen Hotspot bei der Temperierung im Werkzeug – welche konkreten Ideen hat Sigma, da ranzugehen?‘“ Dementsprechend führt das Unternehmen ausschließlich Kunststoffingenieure auf seiner Payroll, die für den
Kundensupport verantwortlich sind und auf Augenhöhe mit den Kunden Probleme angehen. Kunststoffingenieure, die bei renommierten Kunststoffinstituten oder Universitäten und Fachhochschulen eine exzellente Ausbildung genossen haben. „Bei Sigma reden wir mittlerweile nicht nur über Spritzgießsimulation, wie sie seit circa 25 Jahren im Thermoplastbereich durchgeführt wird“, verdeutlicht der Ingenieur. „Die Bedürfnisse des Marktes gehen aus unserer Sicht in eine völlig andere Richtung. Sie liegen im Produktionsumfeld, so dass wir mittlerweile über Virtual Molding reden. Dabei wird die Simulation als eine Art virtuelle Spritzgießmaschine angewendet, um Iterationen in der Kunststoffproduktion virtuell durchführen zu können. Das bedingt, dass ich alle Einflussparameter berücksichtigen kann, die ich kenne. Es geht um eine echte Prozesssimulation, wo das Werkzeug mit seiner geometrischen Komplexität und darüber hinaus der gesamte Spritzgießprozess abgebildet
werden können. Wann geht welcher Schieber auf? Wie lange bleibt er geöffnet? Welchen Einfluss hat die Umgebungstemperatur auf den Schieber bei den gewählten Nebenzeiten etc.? All diese Fragen können vor dem Produktionsstart geklärt werden. Das verstehen wir unter Virtual Molding, ein System, das übrigens recht einfach anzuwenden ist. Ansonsten hätte der meist mittelständisch aufgestellte Verarbeiter auch nichts davon.“
Die Grundlage der immer weiter verfeinerten Software ist die Technologie, die Magma vor rund 25 Jahren für die Metallindustrie eingeführt hatte. Es ist eine Simulationstechnologie, mit der die komplexen geometrischen Informationen eines vollständigen Werkzeugs, mit zum Beispiel 500 einzelnen CADGeometrien, auf einfache Weise und dennoch physikalisch korrekt berücksichtigt werden. Ein großer Erfolg, denn damit unterscheidet sich Sigma „fundamental von allen anderen Anbietern“.

Numerische Vernetzung
propos Werkzeug: „Wir bilden das gesamte Werkzeug ab“, erklärt Thornagel, „der Verarbeiter will ja wissen, ob das Werkzeug, das konstruiert wurde, in der Realität funktioniert. Hat es die richtige Qualität? Erlaubt es einen robusten Prozess? Wie verhält es sich, wenn es auf die Maschine gespannt wird? Wie harmoniert es mit der Umgebungs- und Innentemperatur, wenn es warmgefahren ist nach zehn, 15 oder 50 Schuss? Das sind Fragen, die der Kunde heute durch Virtual Molding klärt. Also braucht er das gesamte Werkzeug. Das in 3D-CAD durchkonstruierte Werkzeug wird daher komplett in die Simulation implementiert und natürlich vollständig automatisch numerisch vernetzt.“ Die Vorteile der Simulationstechnik liegen auf der Hand: „Der Kunde spart Kosten“, so Thornagel, „und gewinnt an Produktionssicherheit! Wenn ein Produktionsleiter zum Beispiel berücksichtigt, dass er ein neues Werkzeug im Anlauf hat, schläft er nachts ja nicht gut, weil er nicht weiß, ob die Produktion so funktioniert, wie er sich das vorstellt. Da drücken die Liefertermine, da gibt es Stress. Und zu wissen, dass er das vorher schon einmal alles ausprobiert hat und
der Prozess physikalisch sauber läuft, das ist doch ein dramatischer Vorteil!“ Laut Thornagel bestätigen dies die Kunden auch immer wieder.


So ist die Analyse der individuellen Fragestellungen des jeweiligen Kunden von großer Bedeutung. Was die Märkte angeht – die regionalen Märkte
weltweit und die Anwendungsmärkte von Sigmasoft, ist das Unternehmen offensichtlich sehr gut aufgestellt. Zum einen agiert Sigma global: Dafür
arbeiten die Aachener auch mit Partnernetzwerken zusammen. Mit deren Unterstützung deckt das Unternehmen die wichtigen Industriezentren in Mitteleuropa, Nord- und Südamerika, Asien sowie Südafrika ab. Und die Anwendungsmärkte? „Alles“, bringt es Thornagel pointiert auf den Punkt. Grundsätzlich werden die Märkte bei Sigma nach Werkstoffgruppen aufgeteilt: Thermoplaste, Elastomere, Duroplaste, Pulverspritzguss … Eine Besonderheit: Im Elastomerbereich hat Sigma einen größeren Anteil an Automotive als in allen anderen Werkstoffgruppen.

Wie rechnet sich das Geschäft mit der Simulation? „Vom Umsatz her ist unsere Entwicklung extrem erfreulich“, weiß der Prokurist. „Wir sind ein inhabergeführtes Unternehmen, ein klassischer Mittelständler, bei dem sehr nachhaltig gewirtschaftet wird. Die Erlöse gehen nicht in private Schatullen, sondern werden konsequent reinvestiert. Dabei passt die Umsatzkurve eins zu eins auf die Kurve der Personalentwicklung. Das heißt: Was an Geld reinkommt, wird absolut konsequent in den Aufbau von Know-how reinvestiert.“

Interessant ist, für viele eventuell auch überraschend, dass Sigma gerade während der heißen Phase der Finanzkrise im Jahr 2009 umsatztechnisch einen extremen Sprung nach oben machen konnte. Darüber hinaus wurde die Anzahl der Kunden im gleichen Zeitraum nahezu verdoppelt. Wie das? Thornagel: „Zum einen wurde ein großer Wettbewerber
verkauft, was viele Kunden veranlasst hat, zu uns zu kommen. Zum anderen haben die kunststoffverarbeitenden Unternehmen Zeit gehabt, sich neu zu orientieren und Investitionen anzuschieben. Das hat uns gewaltig nach vorne gebracht.“

 

Lohnende Investition
Aus Sicht der Kunden ist die Anschaffung der Simulationssoftware zunächst einmal ein Invest. Was für Kunden jedoch interessant  ist, sind die Folgekosten beziehungsweise der Benefit, den sie damit schaffen. Denn die Gesamtkosten liegen nach Darstellung von Thornagel bei maximal 500 EUR pro Variante, die gerechnet wird. Für diesen Preis aber bekomme kein Kunde eine reale Iterationsschleife im Werkzeug realisiert oder einen externen Dienstleister ins Haus. Welche Perspektiven erkennt Sigma für die weitere geschäftliche Entwicklung? Dazu entwirft Thornagel eine spannende Skizze: „Wir stehen am Anfang einer fundamentalen Neuausrichtung des Marktes. Die klassische Spritzgießsimulation ist im
Konstruktionsumfeld angesiedelt. Die am Markt befindlichen Produkte sind für die Konstruktion optimiert. Und die Kunststoffverarbeiter stellen fest, dass ihnen diese Simulation zwar hilft – aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Dabei machen insbesondere die Iterationen im Werkzeug zu schaffen. Die tun richtig weh. Die Kunden fordern immer kürzere Lieferzeiten bei hundertprozentiger Lieferfähigkeit.“ Damit werde deutlich, dass Verarbeiter eine komplette Simulationsunterstützung benötigen, die die gesamte Wertschöpfungskette abbildet.