Formeinsätze einfach drucken – Konturnahe Kühlung neu gedacht

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Erstveröffentlichung im Plastverarbeiter

Additive Fertigung mit Simulation begründen?

Additive Fertigung ist seit mehr als einer Dekade in aller Munde und der 3D-Druck ist inzwischen im Produktionsalltag angekommen. Neben Prototypen und Kleinserien konzentriert man sich nun auch auf die Chancen, die diese Fertigungstechnik durch völlig neuartige Möglichkeiten in Konstruktion und Formgebung bietet.

Im modernen Spritzguss ist eine stabile Werkzeugtemperierung die Grundvoraussetzung für einen robusten Prozess und hohe Bauteilqualität. Die genaue und lokale Temperaturführung beeinflusst nicht nur die Zykluszeit, sondern auch Schwindung und Verzug. Die Auslegung der Temperierkanäle bezüglich Anordnung und Durchfluss muss daher sorgfältig geplant werden. Für eine gleichmäßige Temperierung bietet sich die konturnahe Kühlung an, die aber aufwändig sein kann.

Für die detaillierte und zuverlässige Auslegung von Spritzgießwerkzeug und -prozess ist moderne Simulation wie mit SIGMASOFT® Virtual Molding unabdingbar. Hier werden Form inklusive aller Heizbereiche, Kühlkanäle und Isolationsmaterialien zyklusgenau mit dem ausgewählten Kunststoff im Computer virtuell betrieben. Fehlstellen und Qualitätsprobleme werden so bereits erkannt bevor sie auftreten. Änderungen und Optimierungen lassen sich virtuell testen, bevor sie in die Umsetzung gehen. Dies ist wichtig, wenn Mehrkosten durch bessere Ergebnisse in der Produktion eingespielt werden sollen. Das nachfolgende Beispiel vom Steckerexperten H&B Electronic demonstriert die Möglichkeiten der Simulation bei der Entwicklung einer optimierten, neuartigen konturnahen Kühlung bei einem Steckergehäuse (Abbildung 1).

Stecker mit umspritzten Pins und Buchsen (c) H&B Electronic

Abbildung 1: Stecker mit umspritzten Pins und Buchsen

Wo geht die Hitze hin?

Beim Kunststoffspritzguss wird die Schmelze mit einer materialspezifischen Temperatur (für ein PA 66 beispielsweise ca. 290 °C) in ein vergleichsweise kaltes Spritzgießwerkzeug aus Stahl (z. B. 90 °C) eingespritzt. Bereits während des Einspritzens beginnt die Kunststoffschmelze bei Kontakt mit der Werkzeugwand Wärme an das Spritzgießwerkzeug abzugeben. Dieser Vorgang dauert so lange an, bis die Schmelze zu einem festen Körper erstarrt ist und aus dem Werkzeug entnommen werden kann. Das Spritzgießwerkzeug muss die ihm zugeführte Wärme weiter ableiten. Dies geschieht in der Regel über Temperierkanäle, mit Flüssigkeit durchspülte Bohrungen im Werkzeug.

Der Wärmefluss innerhalb des Werkzeugs wird maßgeblich durch zwei Effekte beeinflusst. Zum einen ist die abzuführende Wärmemenge abhängig von der Geometrie des Formteils. Dünnwandigen Bauteilbereichen muss weniger Wärme entzogen werden, als dickwandigen Bereichen, den sogenannten Hotspots. Zum anderen aber lassen sich die gebohrten Temperierkanäle nicht so im Werkzeug platzieren, dass sie an allen Stellen der Kavität die gleiche Wärmeabfuhr gewährleisten. Dementsprechend stellt sich im konventionell gekühlten Werkzeug eine inhomogene Temperaturverteilung ein (Abbildung 2 links). Die roten Bereiche des dargestellten Formeinsatzes weisen eine Temperatur von über 150 °C auf, wohingegen die blauen Bereiche bei ca. 100 °C liegen. Demnach herrscht innerhalb des formgebenden Bereichs zum betrachteten Zeitpunkt ein Temperaturunterschied von rund 50 °C.

Temperaturverteilung eines Formeinsatzes in der Kühlphase. Links konventionell temperiert, rechts konturnah temperiert. (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 2: Temperaturverteilung eines Formeinsatzes in der Kühlphase. Links konventionell temperiert, rechts konturnah temperiert.

Die vorliegende Temperaturverteilung zeigt an, dass es im Bauteil lokale Bereiche gibt, die unterschiedlich schnell abkühlen. Die daraus resultierenden Eigenspannungen innerhalb des Bauteils bewirken in letzter Konsequenz einen Verzug nach der Entformung. Zudem wird durch ein inhomogenes Abkühlverhalten auch die Zykluszeit verlängert.

Das geht noch besser…

Ziel bei der Auslegung der Werkzeugtemperierung ist es folglich, die Temperaturunterschiede innerhalb der Form, insbesondere in der Kavität, möglichst gering zu halten und eine homogene Wärmeabfuhr zu gewährleisten. Simulativ lassen sich die Hotspots präzise ermitteln (Abbildung 3).

Hotspots im Bauteil (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 3: Hotspots im Bauteil

 

Sind die kritischen Stellen am Bauteil bekannt, kann die Gestaltung der Kanäle im Werkzeug gezielt auf diese abgestimmt werden. H&B Electronic setzt auf Metall 3D-Druck, um hierbei nahezu frei wählbare, konturnahe Kanäle zu realisieren – dazu später mehr.

In Abbildung 4 ist ein solcher Entwurf eines konturnahen Temperierkanals zu sehen, wie er letztendlich auch tatsächlich im Serienwerkzeug umgesetzt wurde. Abgebildet ist das Ergebnis der Reynoldszahl. Zur Erinnerung: turbulente Strömung, wenn diese größer als 2300 ist - das ist für die Kühlung erwünscht; laminare Strömung, wenn darunter, für guten Flüssigkeitstransport. Um auf der sicheren Seite zu sein, hat H&B den Grenzwert auf 10.000 festgelegt.

Reynoldszahlen >10.000. Bei den transparenten Bereichen handelt es sich um laminare Strömungen oder die Übergangsphase. (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 4: Reynoldszahlen >10.000. Bei den transparenten Bereichen handelt es sich um laminare Strömungen oder die Übergangsphase.

Die strömungstechnische Berechnung in SIGMASOFT® erfolgt dabei unter anderem durch Berücksichtigung folgender Einflussparameter:

  • Viskosität des Temperiermediums
  • definierter Volumenstrom in l/min sowie
  • geometrischer Verlauf und Oberflächenrauhigkeit der Temperierkanäle.

 

Die Strömung simulativ auslegen

Die generellen Anforderungen an ein Temperiersystem bestehen bei vorgegebenem Volumenstrom aus einer guten Wärmeabfuhr bei gleichzeitig möglichst geringem Druckverlust innerhalb des Kanals und einer resultierenden homogenen Temperaturverteilung im Bauteil.

Neben der Reynoldszahl stellt der Druckbedarf des Temperierkanals ein wichtiges Qualitätskriterium dar (Abbildung 5). Auch wenn der Druckbedarf im vorliegenden Beispiel keinen kritischen Wert erreicht, geben solche Simulationen wertvolle Hilfestellung bei der Auswahl des Temperiergerätes bzw. der Machbarkeitsbewertung. Und nicht zuletzt bedeutet ein niedriger Förderdruck auch eine Verbesserung des Energiebedarfs des Temperiergeräts.

Eine Reduzierung des Druckbedarfs konnte über drei Iterationsschleifen durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

  • Durchmesser am Ein- und Auslaufbereich wurden stark vergrößert
  • Erhöhung des Durchmessers des gesamten Temperierkanals
  • Reduzierung, bzw. „weichere“ Gestaltung der Umlenkungen.

Bei der Optimierung konnte der Druckverlust von ursprünglich 4,5 auf 1,8 bar reduziert werden (Abbildung 5).

 

Druckbedarf simulativ darstellen Ein- zu Auslauf (blau zu rot) ca. 1,8 bar  (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 5: Druckbedarf Ein- zu Auslauf (blau zu rot) ca. 1,8 bar

 

Bei den Bildern handelt es sich keinesfalls um eine Rohrleitung, sondern um Kanäle innerhalb von einem Block Werkzeugstahl. Im Computer sieht das nach einer perfekten Lösung aus, fertigungstechnisch setzt man aufgrund der Machbarkeit hier auf 3D Druck (Abbildung 6).

 

3D Metall gedruckter konturnaher temperier Einsatz (c) H&B Electronic

Abbildung 6: Schnitt durch einen konturnah temperierten Einsatz – nur mit Metall 3D Drucker herstellbar (Quelle: H&B Electronic)

Praktischer 3D Druck im Werkzeugbau

Früher war Metall 3D Druck auf den Auslagerungsstahl 1.2709 eingeschränkt. Für Formeinsätze in der klassischen Fertigung wird dieser Werkstoff aufgrund seiner Nachteile in thermischen Eigenschaften (z. B. Warmhärte) und Korrosionsbeständigkeit eher nicht eingesetzt. Der Warmarbeitsstahl 1.2343 zählt bei vielen Werkzeug- und Formenbauern zu den beliebtesten Werkstoffen, wenn es beispielsweise um die Herstellung von Formeinsätzen für Kunststoff-Spritzgießwerkzeuge geht. Er ermöglicht bei hohen Stückzahlen die prozesssichere Verarbeitung technischer Kunststoffe zu, beispielsweise, anspruchsvollen Steckverbinden. H&B ist als einer der wenigen Dienstleister in der Lage, im Laserschmelzverfahren (LPBF), Bauteile aus diesem kohlenstoffreichen Werkzeugstahl prozesssicher zu fertigen. Bei Werkstoffkennwerten, wie Festigkeit und Härte, erreichen die gedruckten Bauteile vergleichbare Werte wie konventionell gefertigte Bauteile.

 

Wie geht es weiter?

Mithilfe der konturnahen Temperierung ist es gelungen, eine homogenere und schnellere Wärmeabfuhr zu realisieren (Abbildung 1, rechts). Durch Simulation mit SIGMASOFT® konnten die Vorteile des Kühlkonzepts für dieses und ähnliche Werkzeuge soweit berechnet werden, dass sich H&B zur Anschaffung der TruPrint 5000 von TRUMPF entschlossen hat. Diese steht auch für Kundenprojekte zusammen mit der hauseigenen Expertise bei der Werkzeugauslegung durch Simulation zur Verfügung. Die Fertigung von hybriden Bauteilen, gedruckt auf konventionell hergestellten Stahlstrukturen, ist dabei genauso möglich, wie die Herstellung größerer Bauteile (bis Durchmesser 270 mm und 300 mm Höhe). Die Fertigung dieser 3D gedruckten Strukturen ist nicht billig, rechnet sich in aller Regel aber in der Serienproduktion durch reduzierte Zykluszeiten und die Qualitätsverbesserung. Dank SIGMASOFT® kann der damit verbundene Kosten- und Nachhaltigkeitsvorteil schon im Vorfeld quantifiziert werden.

 

Infos:

Beim Laserschmelzverfahren (LPBF) wird Metallpulver schichtweise durch einen Laserstrahl aufgeschmolzen. Zusätzlich bewirkt die lokal eingebrachte Wärmeenergie ein erneutes Aufschmelzen der bereits hergestellten unmittelbar angrenzenden Bereiche. Das entstandene partielle Schmelzebad sorgt für ein ähnlich homogenes und feinkörniges Gefüge wie beim konventionell durch Elektroschlackeumschmelzen (ESU) hergestellten Warmarbeitsstahl 1.2343 (H11). H&B Electronic druckt ausschließlich mit 1.2343 (H11) und einer Vorheizung der Bauplattform von 500 °C. Das reduziert die Neigung zu Mikrorissen und ermöglicht letzten Endes ein Polieren der gedruckten Bauteile.

 

Autoren:

Jan Bayerbach, R&D Manager, /H&B/ Electronic GmbH & Co. KG, Siemensstraße 8, 75392 Deckenpfronn, info@h-und-b.de
Katharina Doetz, Marketing Manager, SIGMA Engineering GmbH, Kackertstraße 16-18, 52072 Aachen, info@sigmasoft.de