Virtuelles Spritzgießen senkt Kosten

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Virtuelles Spritzgießen senkt Kosten

Erschienen im Magazin: KGK 11/12-2012, Seite 12-14 

Autoren: Marco Thornagel und Vanessa Schwittay

Trouble Shooting ist nach wie vor Tagesgeschäft in elastomer-verarbeitenden Betrieben. Insbesondere die Werkzeugabmusterung entlarvt immer wieder kostspielige Fehler, die bei der Werkzeugentwicklung, der Artikelkonstruktion oder einfach im Zusammenspiel der beteiligten Teams entstanden sind. Virtuelles Spritzgießen parallel zum Entwicklungsfortschritt deckt solche Fehler auf bevor sie entstehen und spart so massiv Kosten bei steigender Qualität.

Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment: Ein erfahrener Hersteller von Elastomerlagern für Automotive-Anwendungen bekommt einen neuen Auftrag. Ein neuer Artikel soll hergestellt werden; ein Artikel (eine Kombination aus mehreren metallischen Einlegeteilen und einer Kautschukmischung) an den erhebliche thermo-mechanische Anforderungen gestellt werden. Das geplante Produktionsvolumen ist groß, was das Projekt für unseren Hersteller sehr interessant macht. Der Serienanlauf steht fest und damit der Entwicklungszeitplan. Um auf der sicheren Seite zu bleiben und keine Fehler zu machen, entschließt sich der Hersteller zunächst, ein 2-Kavitäten Prototypen Werkzeug zu bauen. Mit dieser Prototypen-Form werden verschiedene Angusspositionen und –anzahlen, alternative Prozessparameter und Mischungsvariationen untersucht, bis ein vielversprechendes Anspritzkonzept gefunden ist, mit dem die produzierten Teile auch alle thermo-mechanischen Belastungstests problemlos bestehen. Damit ist die Prototyping-Phase abgeschlossen und die Serienform wird gebaut. Aufgrund der guten Ergebnisse der Prototypen-Form und der umfangreichen Erfahrung des Herstellers wird das Serienwerkzeug mit 32 Kavitäten gebaut. Bei der Werkzeugabmusterung werden Teile hergestellt, welche alle die anschließenden Belastungstests nicht bestehen, sondern massive Schädigungen in Form von Rissen zeigen. Eine Katastrophe für das Unternehmen: Die Entwicklungszeit ist verbraucht, SOP steht kurz bevor, die Entwicklungsbudgets sind verbraucht und eine technische Lösung ist nicht in Sicht. Ist ein solcher Projektverlauf ein Sonderfall? Über 12 Jahre Erfahrung in der elastomer-verarbeitenden Industrie bei SIGMA Engineering GmbH zeigen, dass solche Probleme auch heute noch täglich auftreten, gerade auch in erfahrenen Unternehmen.

 

 (c) SIGMA Engineering GmbH

Bild 1 – Virtuelles Spritzgießen: Simulation des tatsächlichen Produktionszustandes eines kompletten Spritzgießwerkzeugs mit Kaltkanalsystem über mehrere Zyklen hinweg.

Andererseits zeigen die Erfahrungen von Unternehmen, die Spritzgießsimulation im Sinne eines Virtuellen Spritzgießens einsetzen, dass solche Fehler durchaus frühzeitig identifiziert und rechtzeitig behoben werden können. Der Einsatz von SIGMASOFT® ermöglicht es spürbar Kosten zu sparen und Entwicklungszeiten zu verkürzen sowie Produktqualitäten zu erhöhen. Eine einfache und ausgesprochen konservative Kostenbetrachtung belegt dies bereits: Erreicht man auf Basis der Simulationseinführung im Schnitt eine Materialeinsparung von 5 %, eine Zyklusverkürzung von 10 % und eine Reduktion der Werkzeugkosten um 4 % (die tatsächlichen Einsparungen unserer Kunden liegen weit höher) bedeutet dies eine Kosteneinsparung von 13.500,- je Projekt und Jahr, unter der Annahme typischer Werkzeug- und Personalkosten sowie Produktionsvolumina bzw. Maschinenstundensätze. Bei 10 Projekten im Jahr erreicht man bereits eine Einsparung, die den Invest in eine Simulationssoftware sowie die Ausbildung und Kosten des Anwenders vollständig deckt, im zweiten Jahr bleibt sogar deutlich Geld übrig. Dabei sind die erheblichen Einsparpotenziale durch Reduktion von Abmusterungsschleifen noch nicht einmal mit eingerechnet, ebenso wenig indirekte Effekte wie verbessertes Marketing, Kundenkommunikation, Imagebildung etc. Bereits diese sehr vereinfachte aber konservativ gehaltene wirtschaftliche Überlegung belegt die Amortisationszeiten von wenigen Monaten für die Einführung von Spritzgießsimulation. Eine Investition, die sich lohnt.

Der Stand der Simulationstechnologie wird kontinuierlich weiterentwickelt. Füllberechnungen der Kavität oder Simulationen zur Balancierung von Läufer- bzw. Kaltkanalsystemen sind allgemein bekannt. Mittlerweile lassen sich bei Bedarf aber selbst komplette Serienwerkzeuge inkl. Kaltkanalsystem über mehrere Produktionszyklen hinweg untersuchen, so dass der Begriff „Virtuelles Spritzgießen“ tatsächlich zutreffend ist (Bild 1). Um die Wirtschaftlichkeit eines Prozesses richtig beurteilen zu können, sollten so viele Informationen wie möglich in die Simulation einfließen. Denn dadurch, dass nicht nur das Werkzeug mit allen Komponenten, sondern auch alle Prozesszeiten berücksichtigt und der Prozess über mehrere Zyklen simuliert werden kann, sind die erzielten Simulationsergebnisse deutlich realistischer. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit auch Produktionsunterbrechungen und ihre Auswirkung auf den Prozess abzubilden.

 

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Bild 2 – Temperaturverlauf im Werkzeug über mehrere Zyklen. Die blaue Kurve zeigt die Temperaturänderung im inneren Werkzeugkern nahe der Kavität, während die grüne Kurve den Temperaturverlauf im Werkzeug nahe der Temperierung wiedergibt. Deutlich ist in der blauen Kurve die Produktionsunterbrechung zu Beginn des fünften Zyklus zu erkennen.

Bild 2 zeigt Temperaturkurven in der Kavität und im Werkzeug nahe der Temperierung. Dabei ist die Produktionsunterbrechung vor dem fünften Zyklus in der blauen Kurve, die die Temperatur im inneren Werkzeugkern wiedergibt, deutlich sichtbar. Es ist außerdem zu erkennen, dass sich das Werkzeug vor der Produktionsunterbrechung schon fast im stationären Zustand befindet. Dies zeigt sich in der immer geringeren Differenz der Temperaturspitzen in der blauen Kurve. Nach der Unterbrechung gelangt das Werkzeug innerhalb weniger Zyklen wieder in den stationären Zustand. So kann mit Hilfe der Software nicht nur abgeschätzt werden, wie viele Zyklen das Werkzeug beim Anfahren des Prozesses braucht, bis der stationäre Zustand erreicht ist, sondern auch wie schnell nach einer Produktionsunterbrechung wieder normal produziert werden kann. Diese Abschätzungen können helfen, beim Anfahren des Prozesses so wenige Bauteile wie möglich als Ausschuss zu deklarieren und so neben Materialkosten auch Zeit zu sparen.

Für eine möglichst wirtschaftliche Produktion sind die Zykluszeiten des Prozesses ein wichtiger Faktor. Generell soll die Zykluszeit so lang wie nötig, aber auch so kurz wie möglich sein, um Kosten zu sparen. Hier spielen eventuell vorhandene Einlegeteile und ihre Temperierung eine große Rolle. Ist ein Einlegeteil zu kalt, kann es die Vernetzung des Elastomers verzögern und damit die Zykluszeit unnötig verlängern, ist es zu heiß, beginnt die Vernetzung des Elastomers am Einlegeteil unter Umständen zu früh und verhindert so ein gleichmäßiges Füllen des Bauteils. Außerdem kann es so zu Vernetzungsfehlern und damit Fehlstellen im fertigen Bauteil kommen. In der Simulation können diese Probleme frühzeitig entdeckt und Lösungsmöglichkeiten getestet werden. So kann überprüft werden, ob der kostspielige Einbau von zusätzlichen Temperierungen in das Werkzeug nötig ist, oder ob es ausreicht, die Einlegeteile im Werkzeug für wenige Sekunden vorzuheizen. Die so verlängerte Vorbereitungsphase sieht zwar auf den ersten Blick wie eine Verlängerung der Zykluszeit aus, kann aber dazu beitragen, dass das Bauteil deutlich schneller vernetzt und entformt werden kann, was die Zykluszeit wiederum positiv beeinflusst.

 

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Tabelle 1 – In der Simulation können in verschiedenen Versionen die Prozessparameter variiert und die daraus folgenden Ergebnisse verglichen werden, so dass die beste Variante für die Produktion ausgewählt werden kann. Hier ist die Variante v06 deutlich wirtschaftlicher als die ursprüngliche Variante v02.

Das Virtuelle Spritzgießen zeigt aber auch die Mischungseigenschaften im Detail. Eine wichtige Größe zur Bewertung des Füllvorgangs ist der Scorch-Index (Bild 2). Dieser Wert ist ein Maß für die Verarbeitbarkeit der Mischung und markiert den Start der Anvernetzung. Die Aufheizung der Mischung durch die heiße Werkzeugwand sowie durch innere Schererwärmung lässt den Scorch steigen. Während des Füllvorgangs soll möglichst wenig Material anvernetzen, d.h. der Scorch möglichst niedrig sein, um die Mischung zu schonen. Andererseits ist es erstrebenswert, die Mischung schon möglichst weit aufzuheizen, um die anschließende Heizzeit und damit die Zykluszeit insgesamt kurz zu halten. Bereiche mit frühzeitiger Vernetzung, die das weitere Füllen behindern oder zu Vernetzungsfehlern führen, können so in der Simulation entdeckt werden. Außerdem können in der Simulation verschiedene Gegenmaßnahmen, wie Änderungen in den Temperaturen von Werkzeug und Schmelze oder der Füllzeit, getestet werden (Prozessfensterermittlung), ohne dass Material in realen Versuchen verschwendet wird. Abschließend können die Ergebnisse der Varianten hinsichtlich Druckbedarf, Scorch und Vernetzungszeit verglichen und so die beste und vor allem wirtschaftlichste Variante ausgewählt werden (Tabelle 1). Der Scorch-Index kann somit helfen, die Verarbeitbarkeit der Mischung, die erreichbare Produktqualität sowie die Prozesszeiten zu bewerten.

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Bild 3 – In den Simulationsergebnissen werden Bereiche mit einem hohen Scorch-Index rot dargestellt. Hier kommt es schon während der Füllphase zur Anvernetzung des Elastomers, was unter Umständen zu Fehlstellen im Bauteil führen kann. In grau sind hier die umspritzten Einlegeteile dargestellt.