Wer sein Werkzeug kennt, geht in Führung

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Wer sein Werkzeug kennt, geht in Führung

Artikel erschinen im Magazin: KGK 5/2013, Seite 16-18

Autoren: Laura Florez, Manuel Schmellenkamp und Vanessa Schwittay

Mit der Prozesssimulation von SIGMASOFT® wird die Verarbeitung von Elastomeren bis ins Detail abgebildet. Damit ist es möglich, die optimale Werkzeugkonfiguration und das Prozessfenster bereits vor dem Werkzeugbau festzulegen und den Einfluss von Variationen in Prozesstemperaturen und -zeiten auf die Bauteilqualität vorherzusagen.

Fachleuten ist das Problem bekannt: bei der Verarbeitung von Elastomeren gibt es so viele Varianten und Kenngrößen, dass trotz der großen wissenschaftlichen Fortschritte noch immer viele Faktoren im Werkzeugbau und in der Prozessführung mittels Trial-and-Error bestimmt werden. In der Industrie sind lange, aufwändige und teure Entwicklungsphasen als unvermeidbar akzeptiert, und erst wenn das Werkzeug bereits gebaut ist, wird die Suche nach dem optimalen Verarbeitungsfenster gestartet. Eine Suche, die in der Regel eine nicht vernachlässigbare Menge an Produktionsressourcen benötigt und die hin und wieder sogar in einer Sackgasse, der Verschwendung von mehreren Monaten und Tausenden Euro, sowie im schlimmsten Fall mit einem unbrauchbaren Werkzeug endet.

Unsere Erfahrung bei der SIGMA Engineering GmbH hat uns allerdings in den letzten 15 Jahre bewiesen, dass es auch Alternativen gibt, um Kosten und Aufwand bei der Entwicklung und Produktion von Elastomerformteilen drastisch zu reduzieren. Die Erfahrung unserer Kunden zeigt, dass die Simulation heutzutage früh und während der gesamten Entwicklungsphase eingesetzt werden kann, um die optimale Werkzeugkonfiguration festzulegen und darüber hinaus den Einfluss von Änderungen der Prozessparameter auf die Bauteilqualität abzuschätzen. Die Simulation hat unseren Kunden geholfen, ihre Werkzeuge besser kennen zu lernen.

Dieser Beitrag zeigt anhand eines Beispiels die Vorgehensweise, mit der die Simulation als Qualitätssicherungstool über die gesamte Entwicklungskette bei der Elastomerverarbeitung eingesetzt wird. Neben der konventionellen Füllsimulation kann der prozessorientierte 3D-Ansatz der Simulationssoftware SIGMASOFT® detaillierte Informationen über die optimale Lage und Leistung der Werkzeugtemperierung, die Wirkung von Einlegeteilen und die Prozessführung liefern. Damit werden die Wechselwirkungen zwischen Werkzeugkomponenten deutlich und die Ursachen für mögliche Qualitätsprobleme transparent.

 

 

 (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 1: Die Wahl der Anspritzposition und andere für die Bauteilqualität relevante Fragen, die bei der Artikelauslegung entstehen, lassen sich mittels der 3D-Simulation detailliert beantwortet werden.

Die Qualität fängt bei der Bauteilauslegung an

Es gibt viele Faktoren, die bereits bei der Bauteilentwicklung betrachtet werden sollten, um die Qualität abzusichern. Wo dürfen Bindenähte auftreten, wo müssen sie vermieden werden? Müssen Einlegeteile vortemperiert werden? Welcher Vernetzungsumsatz soll erreicht werden und wie viel Zeit wird dazu bei welcher Temperatur benötigt?

Wichtige Fragen, die die Bauteilqualität betreffen, werden anhand der Simulation beantwortet. Ebenso können Trennebenen und Entlüftungspunkte herausgearbeitet werden, sowie die optimale Anbindungsart und -lage. In Abbildung 1 ist ein Bauteil mit mehreren Anspritzpositionen gezeigt. Verschiedene Varianten können in kürzester Zeit vorbereitet und berechnet werden um eine optimale Position hinsichtlich Füllverlaufs, Fließlängen und Bindenahtlage zu finden. In diesem Fall wird als Anspritzposition die Ecke des Formteils gewählt (blauer Anschnitt): so ist gewährleistet, dass die Bindenähte nicht in direkter Belastungsrichtung liegen.

Wenn das Formteildesign nicht mehr geändert wird, muss im nächsten Schritt die Anbindungsart gewählt werden. Eventuell gibt es firmeninterne Standards, die Simulation kann hier aber wichtige Hinweise zur Auslegung geben, um die Querschnitte prozesssicher zu wählen. Wie groß darf eine Anbindung sein? Nach oben wird der Durchmesser durch Faktoren wie Optik am Formteil, Trennbarkeit und Zykluszeit limitiert. Nach unten werden die Grenzen durch Prozessparameter wie Druckbedarf oder Scherung gesetzt.

Im vorliegenden Beispiel hat die Simulation eine optimale Füllzeit von 20s ergeben; der Druckbedarf für Anschnitt und Formteil beträgt etwa 20 bar, die maximale Scherrate liegt im unkritischen Bereich und die Vernetzungsreaktion ist am Ende der Füllung noch nicht gestartet. Die Temperatur hat sich aber auf Grund von Scherung und Kontakt mit der heißen Kavität schon deutlich erhöht.

 

 (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 2: Durch die Simulation wird die Angussbalancierung überprüft. Auch eine zuverlässige Vorhersage von Druckbedarf und benötigter Schließkraft ist möglich.

Werkzeugbedingte Qualitätsprobleme vermeiden

Wenn der einzelne Artikel optimiert ist, soll ein Werkzeug entstehen um den Artikel kostengünstig zu produzieren. Entscheidungen müssen getroffen werden: wie viele Kavitäten können im Werkzeug realisiert werden unter Berücksichtigung von Schließkraft- und Druckbedarf? Wie hat der Angussverteiler auszusehen? Macht ein Kaltkanal Sinn? Wie wird die thermische Trennung realisiert? Welche Heizleistung ist nötig, wie muss das Temperierkonzept beschaffen sein? Wo sollten Regelungspunkte für Heizkreise positioniert werden?

Für das Beispiel wird eine Variante mit 8 Kaltkanaldüsen ausgelegt. Zu jeder Kaltkanaldüse gehört einen Unterverteiler mit 8 Kavitäten. Mit Hilfe der Simulation wird zuerst überprüft, ob die Angussbalancierung ausreichend ist: es sollte geprüft werden, ob sowohl die Kavitäten als auch die Unterverteiler gleichmäßig füllen (wie in Abbildung 2). Ungleichmäßigkeiten führen zu Druckunterschieden in den Kavitäten und somit zu Unterschieden in der Bauteilqualität hinsichtlich Gratbildung und Vernetzungsgrad.

Der Druckbedarf je Unterverteiler mit Kavitäten beträgt 180 bar, der Gesamtdruckbedarf inklusive  Kaltkanal, Unterverteiler und Kavitäten beträgt 750 bar (bei einer Füllzeit von 20s und einer Düsentemperatur von 100 °C). Die benötigte Schließkraft liegt somit bei 4.000 kN. Anhand dieser Ergebnisse lässt sich entscheiden, ob das Konzept des Kaltkanals und der Angussverteiler geeignet ist. Für die Fertigung kann eine 500 to Maschine geplant werden. In diesem spezifischen Fall wäre ohne Simulation durch Abschätzung eine größere (und damit teurere) Spritzgießmaschine gewählt worden. Die Simulation hilft also im Rahmen der Entwicklung schon den späteren Fertigungsprozess zu analysieren und so das Prozessfenster mit seinen Einstellgrößen zu definieren.

 

 (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 3: Bewertung des Temperierkonzepts mit Hilfe der Simulation: die benötigte Heizleistung und die Wirkung auf den Vernetzungsgrad können abgeschätzt werden.

Auch eine Optimierung der kompletten Werkzeugtemperierung ist in der Simulation möglich. Die Abbildung 3 zeigt ein Werkzeugkonzept mit heißer (Kavität) und kalter Seite (Kaltkanal), Isolierplatte sowie Heizpatronen und -kreisen. Die Simulation erlaubt eine Bewertung des Konzeptes: Die benötigte Heizleistung kavitätsnah beträgt 8 kW, aber das aktuelle Temperierungskonzept führt zu einer inhomogene Temperaturverteilung, wie in Abbildung 4 zu sehen ist. In der Simulation folgt nun die Analyse weiterer Lösungswege. Die Lage der Temperatursensoren zur Regelung der Heizleistung kann verändert werden, ebenso wie die Lage und Leistungsverteilung der Heizpatronen. Es ist auch noch nicht zu spät das Temperierkonzept von elektrisch auf fluidisch zu ändern, da sich die Werkzeugkonstruktion bisher nur im CAD befindet und der Werkzeugbau noch nicht freigegeben ist.

 

 (c) SIGMA Engineering GmbH

Abbildung 4: Der inhomogene Vernetzungsgrad der Bauteile in einem Mehrkavitäten-Werkzeug kann die Folge einer inhomogenen Temperierung sein.

Anhand der Simulation, und speziell anhand des prozessorientierten Ansatzes von SIGMASOFT®, können Probleme rechtzeitig erkannt und die Prozesssicherheit vor der Abmusterung überprüft werden.  So lassen sich zum einem Kosten während der Entwicklung senken und zum anderen bestehende Prozesse hinsichtlich ihrer Bauteilqualität optimieren.