Einfluss des Heißkanals auf die Werkzeugtemperierung

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Einfluss des Heißkanals auf die Werkzeugtemperierung

 

Erschienen im Magazin: Kunststoffe 12/2012, Seite 80-82

Autoren: Marco Thornagel und Vanessa Schwittay

Spritzgießsimulation. Obwohl Heißkanalsysteme die Produktivität von Spritzgießprozessen erheblich beeinflussen, werden diese bei Spritzgießsimulationen häufig vernachlässigt. Wie kann es sein, dass die Simulation nur auf den Kunststoffartikel fokussiert und grundlegende Einflussfaktoren auf Artikelqualität, Prozessstabilität und Wertschöpfung keine Rolle spielen? 

 

 (c) SIGMA Engineering GmbH

Idealerweise sollte die Simulation den kompletten Heißkanal mit all seinen Geometrien und Materialien berücksichtigen. Zwischenlösungen helfen aber schon weiter (Bild: Günther)

Eine realistische Berechnung der Temperaturverteilung in Werkzeugen mit Heißkanal erfordert es, in einer Spritzgießsimulation neben den Werkzeugkomponenten alle Geometrien und Materialien des Heißkanals zu berücksichtigen. Denn nur der korrekt berechnete thermische Zustand der Kavität und des gesamten Werkzeugs ermöglicht eine wirklichkeitsgetreue rheologische Betrachtung des Spritzgießvorgangs und detaillierte Aussagen über die thermischen Wechselwirkungen im Werkzeug. Die vollständigen Heißkanalgeometrien sind jedoch nur selten zur Hand. Aus diesem Grund wird der Heißkanal in der Simulation meist komplett vernachlässigt und bestenfalls durch einen idealisierten Anguss ersetzt. Diese unzulässige Vereinfachung wirkt sich allerdings nicht nur auf die simulierte thermische Situation im Werkzeug aus, sie mindert auch den Wert der Vorhersage über Qualität und Eigenschaften des Formteils.

 

Keine verlässliche Vorhersage

Eine solche vollständige Vernachlässigung des Heißkanalsystems wäre nur unter der Annahme zulässig, der Heißkanal hätte keinen nennenswerten Einfluss auf die Werkzeugthermik, das Werkzeug würde also an keiner Stelle durch ihn aufgeheizt oder anderweitig beeinflusst. Außerdem müsste der Anwender davon ausgehen, dass im Schmelzekanal weder Druckverluste noch Schererwärmung auftreten, weshalb diese Effekte für die Berechnung nicht relevant wären.

Jeder Praktiker weiß aber, dass dies nicht der Fall ist und der Heißkanal, seine Komponenten und Regelung den realen Prozess und die Artikeleigenschaften wesentlich beeinflussen. Simulationen ohne genaue Berücksichtigung des Heißkanalsystems können daher keine realistischen Ergebnisse für Füllbild, Druckbedarf und Temperaturverteilung liefern – es werden immer signifikante Unterschiede zwischen Simulation und Realität auftreten, insbesondere hinsichtlich Nachdruckwirkung, Schließkraft, Kühlzeit sowie Schwindung und Verzug. Eine verlässliche Vorhersage zum Prozessverlauf und zur Bauteilqualität ist auf dieser Basis unmöglich.

Heißkanalhersteller stellen den genauen Aufbau ihrer Systeme – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht detailliert als CAD-Datensatz zur Verfügung. Doch welche Möglichkeiten gibt es, auch ohne detaillierte Kenntnis der Heißkanalgeometrie die Ergebnisse der Spritzgießsimulation zu verbessern? Zwischen den beiden Extremen der vollständigen Berücksichtigung aller Komponenten und Materialien einerseits und der unzulässigen Vereinfachung durch einen idealisierten Anguss andererseits sind verschiedene Zwischenlösungen denkbar. So ist eine verbesserte Berechnung des Druckbedarfs bereits mit einer schnellen 3D-Strömungssimulation des adiabaten Schmelzekanals möglich; der Wärmeeintrag des Heißkanalsystems und sein Einfluss z. B. auf den Verzug des Kunststoffartikels lassen sich mit den standardmäßig verfügbaren Daten zum Heißkanalsystem und einer Sigmasoft-Multizyklusanalyse (Anbieter der Software: Sigma Engineering GmbH, Aachen) ebenfalls einfach abbilden, wie dieser Beitrag nachfolgend zeigt.

 

Die Frage nach dem Druckverlust

Oft verlangt eine bestimmte Anwendung eine schnelle und exakte Vorhersage des Druckbedarfs, z. B. um die mögliche Anzahl der Kavitäten oder die Größe der Spritzgießmaschine festlegen zu können. Während der Druckverlust der Kavitäten aus vorangegangenen Spritzgießsimulationen meist bekannt ist, stellt sich, abhängig vom gewählten Heißkanalsystem, häufig die Frage nach dem Gesamtdruckverlust. Der Heißkanalhersteller stellt in aller Regel den eigentlichen Schmelzekanal aus Verteiler und Düsen als CAD-Datensatz zur Verfügung (Bild 1). Betrachtet man diesen Schmelzekanal in der Simulation als adiabat, d.h. isoliert man ihn gegenüber dem Werkzeug virtuell, kann man auf einfache und schnelle Art die Aussagekraft der Simulation verbessern.

 

 

 (c) SIGMA Engineering GmbH

Bild 1. Um in der Simulation Einflüsse von Druckverlust, Schererwärmung und einer durch Scherung induzierten Unbalanciertheit im Anguss zu veranschaulichen, muss nur die Geometrie des als adiabat angenommenen Schmelzekanals betrachtet werden (Bild: Sigma)

Bei der Simulation eines adiabaten Schmelzekanals wird daher nur dessen Geometrie im Inneren des Heißkanalsystems berücksichtigt, während seine äußere Geometrie und alle Materialeigenschaften vernachlässigt werden. Den im Schmelzekanal entstehenden Druckverlust und die entstehende Schererwärmung zeigt die Simulation ebenso vollständig auf wie die durch Scherung bedingte unbalancierte Fließbewegung der Schmelze. Eine zusätzliche Verstärkung der Dysbalance dieses Systems kann nun nur noch aus der Temperaturführung der Düsen entstehen. Der gleiche Zusammenhang gilt sinngemäß für die Schmelzevsikosität und deren Einfluss auf den Druckverlust.

Die Verwendung eines adiabaten Heißkanals in der Simulation liefert realistischere Zeiten für die Kühl- und Nachdruckphase sowie eine akkuratere Nachdruckwirkung. Auch der berechnete Verzug des Bauteils ist näher an der Wirklichkeit als wenn der Heißkanal vernachlässigt und durch einen einfachen Anguss ersetzt wird. Der Heißkanal hat in dieser Form allerdings keinerlei Einfluss auf die thermische Situation im Werkzeug (Bild 2, links), da das adiabate System keine Wärme an das Werkzeug abgibt.

 

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Bild 2. Die Berücksichtigung des vereinfacht als Wärmequelle dargestellten Heißkanals (rechts) hat einen deutlichen Einfluss auf die Werkzeugtemperierung, während dies mit adiabatem Heißkanal (links) nicht der Fall ist (Bild: Sigma)

Der Heißkanalblock als Wärmequelle

Für viele Anwendungen lohnt es sich, noch einen Schritt weiter zu gehen, den Einfluss des Heißkanals noch genauer abzubilden. Der Heißkanalhersteller spezifiziert den Cut-Out im Werkzeug, d.h. den Raum, der für den Heißkanal freigehalten werden muss. Zudem liefert der Hersteller die äußere Hülle der Heißkanalgeometrie, um die Einbausituation überprüfen zu können. Nutzt man diese Informationen geschickt, kann die Simulation den Wärmeeintrag des Heißkanals in das Werkzeug über die Kontaktflächen ausreichend genau abbilden. Die Vorhersagequalität der Simulation wird so insgesamt deutlich verbessert.

Bei dieser Simulation dient der gesamte Heißkanalblock als Wärmequelle mit homogener Temperatur. Da die Kontaktflächen zwischen Werkzeug und Heißkanalsystem bekannt sind, wird der Einfluss des Heißkanals auf die Temperaturverteilung im Werkzeug in einer Multizyklussimulation sichtbar (Bild 2, rechts). Bei dieser Form der Heißkanalsimulation werden nicht nur Druckverlust, Schererwärmung und Unbalanciertheit durch den Schmelzekanal dargestellt, auch das Aufheizen des Werkzeugs durch den Heißkanal wird wiedergegeben (Hotspot). Im Vergleich zur Standardsimulation ändert sich zudem der Verzug der Artikel deutlich (Bild 3), das Ergebnis ist so viel näher an der Realität.

 

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Bild 3. Wird das Aufheizen des Werkzeugs mit berücksichtigt (rechts), ist der Verzug des Bauteils im Vergleich zu einer Standardsimulation (links) deutlich größer und stimmt besser mit der Realität überein (Bild: Sigma)

Es bleibt die Frage, inwieweit die Annahme des Heißkanals als homogene Wärmequelle zulässig ist. Dazu hat Sigma Engineering in Zusammenarbeit mit der Günther Heisskanaltechnik GmbH, Frankenberg, reale Heißkanalsysteme messtechnisch analysiert und vollständig simuliert (Bild 4). Vergleicht man die beiden Ergebnisse, stellt man im wichtigen Umfeld der Kavität sehr ähnliche Temperaturen fest, in kavitätsfernen Regionen wird das Werkzeug mit der vereinfachten Heißkanalmodellierung deutlich wärmer, da die räumliche Anordnung des isolierenden Materials um den Heißkanal und dessen Eigenschaften nicht in die Berechnung einfließen. Die beschriebene Vorgehensweise zur besseren Berücksichtigung von Heißkanalsystemen in der Simulation ist damit zulässig und liefert eine genauere Beschreibung der Artikeleigenschaften (hier: Verzug) sowie der thermischen Situation kavitätsnah im Werkzeug.

 

 (c) Günther Heißkanal

Bild 4. Vergleich der Temperaturverteilung im Werkzeug bei vereinfachter Darstellung des Heißkanalblocks als Wärmequelle (links) und im Falle eines vollständig simulierten Heißkanalsystems mit allen Komponenten (rechts). Die Temperaturverteilung im wichtigen Bereich der Kavität ist in beiden Varianten ähnlich. Kavitätsfern heizt die vereinfachte Geometrie aufgrund der fehlenden Isolierung das Werkzeug auf (Bild: Günther)

Fazit

Zwischen der detaillierten Betrachtung sämtlicher Heißkanalgeometrien und der kompletten Vernachlässigung des Heißkanals gibt es also verschiedene Möglichkeiten, reale Einflüsse besser in der Simulation zu berücksichtigen. Je mehr Informationen dabei über den Heißkanal vorliegen, desto realistischer sind die Simulationsergebnisse. Die Berücksichtigung von mehr Details bedeutet dabei nicht, dass der Aufwand zur Simulationsvorbereitung oder die Rechenzeiten steigen müssen. Sigmasoft erlaubt es Praktikern, auch umfangreiche Modelle in kurzer Zeit aufzusetzen und zu rechnen. Warum also sollte man unzulässig vereinfachte Modelle noch länger akzeptieren?